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«Im Nachhinein bin ich froh, dass es ausgekommen ist»

Ausgabe Nr. 130
Mär. 2021
Verhaltenssüchte

Erlebnisbericht. Shopping ist für viele Menschen eine beliebte Freizeitbeschäftigung: Neue Dinge zu entdecken und auszuprobieren, macht Spass. Doch was, wenn das Einkaufen zur Sucht wird und der Kaufrausch das Budget sprengt? Der Bericht einer kaufsüchtigen Person, die hier auf eigenen Wunsch anonym bleibt.

«Dass ich kaufsüchtig bin, habe ich erst in diesem Jahr herausgefunden. Obwohl ich vor mehr als zwanzig Jahren damit begonnen habe, mehr auszugeben, als mir zur Verfügung stand. Damals war ich mit einer drogenabhängigen Person liiert. Aus Naivität liess ich mich dazu verleiten, ihre Sucht zu finanzieren. Und als meine eigenen Mittel nicht mehr dafür ausreichten, habe ich mir auf anderen Wegen Geld beschafft. Später lösten wir die Beziehung auf, aber ich hatte gelernt, dass es einfach ist, über mehr Mittel zu verfügen, als da sind. Und diese Lektion habe ich dann auf den Kleiderkauf angewendet. Wenn mir etwas gefiel, musste ich es haben.

Wegen meiner Konsumsucht hatte ich zwar immer wieder unschöne Erlebnisse. Ich musste auch schon vor Gericht und während mehrerer Jahre meine Schulden sanieren. Trotzdem habe ich meiner Umwelt immer den Eindruck vermittelt, alles im Griff zu haben. Irgendwie fand ich einen Weg, obwohl er zunehmend beschwerlicher wurde: Am Schluss dauerte das Glücksgefühl über die neu erstandenen Kleider nicht einmal bis zur Türschwelle des Ladens. Noch bevor ich den Laden verliess, kam das schlechte Gewissen.

Vor einem Jahr, als mein Lebens­partner herausfand, dass ich unsere gemeinsame Kreditkarte missbrauchte, ist mein Lügengebilde endgültig zusammengefallen. Erst dann war ich bereit, mich vertieft mit meinem exzessiven Kaufverhalten auseinanderzusetzen. Während der Therapie sind mir dann die Augen aufgegangen. Für mich ist der Zwanziger gefallen, als ich gelernt habe, dass die Sucht im mordsschnellen Hirnstamm sitzt. Und dass man die Vernunft im Kortex hegen und pflegen muss, damit sie der Sucht Einhalt gebieten kann. Im Nachhinein bin ich froh, dass es ausgekommen ist. Ich verspüre eine grosse Erleichterung, dass ich nicht mehr im Geheimen leben muss. Ich erkenne jetzt meine Kaufsucht als Erkrankung an, für die ich Hilfe bekommen kann. Meinem Partner bin ich sehr dankbar, dass er von mir Verbindlichkeit eingefordert und mich nicht fallen gelassen hat.

Den Kaufdrang spüre ich immer noch, aber viel gedämpfter. Ich habe auch gelernt, mehr auf mich zu hören. Ich spüre jetzt meine eigene Befindlichkeit besser – und weiss eher, in welchen Momenten ich es mir zutrauen kann, an Kleiderläden vorbeizulaufen und meinen Objekten der Begierde zu begegnen. Ich denke, dass ich meine Erkrankung bis an mein Lebensende mittragen werde. Aber ich bin jetzt auch daran, einen Umgang damit zu erlernen. So sorge ich im besten Fall dafür, dass mir meine Kaufsucht nicht mehr zum Verhängnis wird.»

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