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«Suchtkranke sind nicht schuld an ihrer Sucht, es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und wir reden von einer Mitverantwortung.»

Ausgabe Nr. 118
Sep. 2017
Suchtprävention – quo vadis?

Interview mit Julia Wolf. Welche Verhaltensweisen wünscht sich eine Gesellschaft in Bezug auf den Suchtkonsum oder ein Suchtverhalten? Welche verwünscht sie? Was darf eine Gesellschaft verlangen und was sollte sie zur Verfügung stellen? Können uns die Ethik, Natur- und Sozialwissenschaften darauf eine Antwort geben? In der Diskussion um diese Fragen in der Suchtproblematik plädiert unsere Gesprächspartnerin Julia Wolf für Kohärenz, Sachlichkeit und Wertfreiheit. Wir diskutieren mit ihr weiter darüber, weshalb die Stärkung der Eigenkompetenz und der Entwicklung eines Risikomanagments von Kindesbeinen an wichtig ist.

Zuerst eine grundlegende Frage: Sind Süchtige an ihrer Sucht selber schuld? Können die Ethik, die Hirnforschung oder die Sozialwissenschaften hierauf eine Antwort geben?

Ich finde es problematisch, im Bereich der Sucht den Begriff der Schuld anzuwenden. Zum einen haben wir es hier mit einem rechtlichen Schuldbegriff zu tun, wenn jemand ein Gesetz gebrochen hat. Das ist im Bereich des Betäubungsmittel- und des Arzneimittelgesetzes möglich. Zum anderen rekurriert er bezogen auf eine Sucht vor allem auf eine moralische Schuldfrage.

Das moralische Suchtverständnis reicht weit zurück. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts wurde eine Sucht mit Disziplin-, Willen- und/oder Zügellosigkeit in Verbindung gebracht. Das kippte erst, als man die Sucht unter den Sozialversicherungsparagrafen stellte, sie als Krankheit anerkannte und somit auch deren Folgeschäden finanzieren konnte. Dieses moralische Paradigma findet sich auch heute noch teilweise in den Hinterköpfen.

Bei einem Risikokonsum sollte eher von Verantwortung gesprochen werden. Jedoch nicht von einer Kausalverantwortung im Sinne einer Urheberschaft oder der Haftung für etwas, sondern von einer Mitverantwortung. Das ist einerseits die Verantwortung für sich selbst, andererseits die Verantwortung für das Gegenüber. Damit verteilt sich die Verantwortung sowohl auf das Individuum als auch auf die Gesellschaft, denn das Individuum ist immer Teil der Gesellschaft, mit Eigeninteressen und gemeinschaftlichen Interessen. Am Ende tragen alle gemeinsam dazu bei, dass es einen Konsum von etwas gibt und Dritte wie die Tabakindustrie, die Alkoholhersteller, aber auch die Spielcasinos vom legalen Konsummittelgebrauch profitieren können.

Es gibt ja auch die Sucht als Konzept eines Verhaltens, das nicht den gesellschaftlichen Normen entspricht, eines sogenannt devianten Verhaltens.

Die Sucht wird an gesellschaftlichen Normen ausgerichtet, die sozial konstruiert und Wandelprozessen unterzogen sind. Was in pluralen Demokratien auch immer wieder getan wird. Es gab Zeiten, da wurde der Konsum von Koffein/Kaffee enorm angegriffen, und es gab Zeiten, in denen Opium ein alltägliches Konsummittel war.

Manchmal liegt es auch daran, wer die Substanzen einnimmt. Wie bei der an sich schon politisch abgelehnten Hippiebewegung und dem Haschischkonsum. Die Droge steht dann gleichsam stärker im Fokus als etwa die leistungssteigernden Neuro-Enhancer von heute, die es uns quasi ermöglichen, das Bruttosozialprodukt zu steigern.

Dasselbe gilt für Psychopharmaka. In den USA der 1970er-Jahre waren die als «Mothers little helper» bezeichneten Medikamente breit akzeptiert. Die vorwiegend an Frauen gerichteten Medikamente sollte sie bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen, als es die Grossfamilie nicht mehr gab.

Ein leistungssteigerndes Mittel wird in der Gesellschaft eher akzeptiert. Folgeerkrankungen und Nebenwirkungen werden zwar problematisiert, aber sie werden deutlich positiver konnotiert, als wenn sie das Gegenteil bewirken (für andere, gesellschaftlich weniger kompatiblere Ziele, eingesetzt werden).

Wie gewichten Sie als Ethikerin die Gegensätze zwischen der Selbstbestimmung des Individuums in Bezug auf dessen Rauschmittelkonsum und dem Interesse der Solidargesellschaft, ihre Bürger zu einem unschädlichen Tun zu bewegen?

Der Kernkonflikt beim Drogenkonsum ist das Aufeinanderprallen der Autonomie des Individuums, seines selbstbestimmten Konsums, seiner selbstbestimmten Freizeitbeschäftigungen sozusagen, und im Gegensatz dazu die gesellschaftliche Sicht des Prinzips des Nichtschadens. Dieses Prinzip steckt in einer der vier Säulen der Schweizer Suchtpolitik, der Schadensminderung. Dieses positiv formulierte Anliegen drückt sich auch in der Fürsorgepflicht und der Schutzfunktion aus, die der Staat gegenüber der Gesundheit seiner Bevölkerung als hohes Gut zu erfüllen hat.

Die Frage der gerechten Verteilung der Ressourcen stellt sich immer dann, wenn das Geld knapp wird. Hier ergibt sich ein klassischer Wertekonflikt, der auftritt, wenn es eine Unsicherheit gibt in Bezug auf gängige Normen, wenn Normen aufgeweicht werden oder wenn es neue Möglichkeiten gibt. Das heisst, wenn sich technische oder diagnostische Möglichkeiten eröffnen, mit denen wir noch keinen passenden Umgang gefunden haben, wie es beispielsweise heute beim Cannabis der Fall ist.

Es stellt sich auch immer wieder die Frage, ob im Rahmen einer Sucht Autonomie überhaupt möglich ist und ob noch von einer selbstbestimmten Lebensweise gesprochen werden kann. Aufgrund des hohen Werts der Autonomie für unsere Gesellschaft wird Sucht als deren existenzielle Bedrohung angesehen. Konsens herrscht in der Gesellschaft allerdings darüber, dass die Autonomie da endet, wo andere geschädigt werden, vor allem Kinder und Jugendliche. Das hat man beim Passivrauchschutz gesehen. Es ging hier nicht so sehr um die Einschränkung des eigenen Rauchens, sondern vielmehr darum, andere davor zu schützen.

Man ist sich insgesamt noch viel zu wenig einig darüber, wie hoch der Schaden für die Gesellschaft ist. Ob auch Kosten verursacht werden durch die Politik, die man betreibt. Aufgrund des heutigen Kostendrucks habe ich allerdings das Gefühl, alles wird viel zu sehr auf ökonomische Kriterien reduziert. Ethische Werte oder Werte an und für sich stehen nicht mehr im Fokus, man wünscht sich vielmehr eine Privatisierung der Lebensrisiken. Doch für welche Risiken soll die Gesellschaft haften und für welche nicht? Von der Art und Weise, wie zum Teil argumentiert wird, kriege ich als Ethikerin Bauchschmerzen. Nicht, weil unterschiedliche Meinungen vorliegen, sondern weil nicht kohärent genug und mit zu wenig transparenten Kriterien argumentiert wird.

Gibt es Modelle, die aus diesem Dilemma herausführen könnten?

Das Nuffield Council on Bioethics hat sich für den Public-Health-Bereich und für Gesundheitsfragen das Stewardship- Modell zu Hilfe genommen. Dieses fokussiert auf die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Individuum und Staat und stellt an beide moralisch-normative Forderungen. Autonomie und Privatheit werden darin vom Staat respektiert und er greift nur dann ein, wenn Dritte tatsächlich erwiesenermassen geschädigt werden. Es geht dabei vor allem um die Schadensvermeidung. Eingriffe sollen dabei so gewählt werden, dass sie proportional zum Risiko stehen. Das Prinzip der Verhältnismässigkeit und der Risikoabwägung sind im Modell vereint, und es würde sich zumindest lohnen, das Modell einmal durchzuspielen. Letzten Endes ist es ein Modell, das der Mitverantwortung von Individuum, Staat, aber auch anderen Gruppen wie der Wirtschaft Rechnung trägt. Aus ethischer Sicht wäre das sicher ein vertretbarer und fairer Ansatz.

Der Konsum von Substanzen kann irgendwann aus dem Ruder laufen. Soll bei einem Menschen eingegriffen werden, bevor der Konsum zum Problem wird? Und wessen «Pflicht» wäre das?

Das wäre problematisch. Präventionsmassnahmen sind per se positiv zu werten – Aufklärung, Information, Kampagnen, auch zur Enttabuisierung von Drogen und Sucht. Ein invasiver Eingriff wäre praktisch eine Zwangstherapie, und die ist ethisch nicht zulässig. Ein Eingriff hat unter dem Prinzip der Verhältnismässigkeit zu erfolgen. Zulässig wäre erstens, wenn der Betroffene selbst leidet und Hilfe sucht. Zweitens, wenn Dritte direkt geschädigt werden. Das können Kinder sein, die vernachlässigt werden, oder wenn häusliche Gewalt auftritt. Oder drittens, wenn medizinisch eine Verpflichtung besteht und ein Nichteingreifen als unterlassene Hilfeleistung gilt, etwa bei einer Suizidgefährdung oder im Falle von Rauschtrinken. Präventive Eingriffe an und für sich sind hier ebenso fragwürdig, wie sie es bei einer eventuell geplanten Straftat wären, die man verhindern wollte. Wie soll man eingreifen, wenn keine ausgewiesenen Gründe vorliegen? Das würde der Willkür Tür und Tor öffnen.

Was tun, wenn alle Therapien nichts nützen? Darf man sagen: entlassen und fertig?

Zuerst wäre die Frage zu stellen, weshalb sie nichts nützen. Eine Therapieziel- Diskussion kann in diesem Fall Klärung bringen. Welche Therapieziele werden angewandt und welche davon sind umstritten? Mit der vierten Säule der Drogenpolitik, der Schadensminderung, konnten niederschwellige Angebote erfolgreich eingeführt werden. Hochschwellige Angebote, d.h. stationäre Langzeittherapien oder Therapien mit einem Abstinenzziel sind dagegen viel weniger erfolgreich. Sucht man im Internet nach dem Begriff der Abstinenz, dann haben wir es erneut mit den moralisch aufgeladenen Begriffen zu tun wie Disziplin, Selbstkontrolle, Tugendhaftigkeit und dem Verzicht als etwas Erstrebenswertem. Das mag für einige Menschen richtig sein, aber nicht für alle.

Ein grosses Problem stellt in der Suchtmedizin, aber gerade auch in anderen therapeutischen Bereichen, die Non-Compliance dar. Herzpatienten nehmen ihre Medikamente aufgrund der Nebenwirkungen nicht ein usw. Was machen wir da? Wie gehen wir mit dem uneinsichtigen Manager um, der nach einem Herzinfarkt seine Medikamente nicht einnimmt, weil sie ihn müde machen? Sagen wir: selber schuld? Eine gewisse Kooperationsbereitschaft darf man voraussetzen, die wird für den Therapieerfolg auch benötigt. Hilfe kann angeboten werden, sie muss aber auch angenommen werden. Kommt sie zwangsweise, ist sie meist kontraproduktiv.

Voraussetzung für die Anordnung einer Arbeitsvermittlung seitens der Invalidenversicherung ist unter anderem, dass alkoholkranke Menschen zuvor 6 bis 12 Monate abstinent sein müssen. Darf der Sozialstaat seine Unterstützung an Bedingungen knüpfen?

Als Voraussetzung, um überhaupt Hilfe zu erhalten, ist eine solche Anforderung aus meiner Sicht zu strikt. Die Arbeitsvermittlung ist als Wiedereingliederungsund Rehabilitationsmassnahme gedacht. Sie holt einen aus dem Suchtkonsum in einen anderen sozialen Raum und initiiert im besten Falle einen Entwicklungsprozess. Es heisst ja noch nicht einmal, dass man zum Zeitpunkt der Vermittlung eine Stelle kriegen wird. Da schon so hohe Hürden aufzubauen, ist, meiner Meinung nach, nicht gerechtfertigt.

Sobald es zu einem Arbeitsverhältnis kommt, können Bedingungen gestellt werden. Falls jemand Vorbildfunktionen übernehmen muss oder Jugendliche vor Ort sind, soll der Drogenkonsum während der Arbeitszeit nicht erlaubt sein. Ebenso, wenn man einen PKW benutzen oder Maschinen steuern muss. Das ist von Gesetzes wegen schon nicht erlaubt. In unsere Gesellschaft als Leistungsgesellschaft gehört das Recht auf Hilfe und das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein. Teil davon ist auch die Wiedereingliederung in den Arbeitsalltag.

Die Gesundheitskompetenz und die Eigenverantwortung stärken, damit sich die Bevölkerung das Wissen für eigenständige Entscheidungen zum Wohle ihrer Gesundheit aneignen kann. Das sind Ziele der Suchtstrategie. Kann man zu viel tun, sprich, kontraproduktiv auf die Menschen einwirken, da diese dadurch in ihrer «Unmündigkeit» verbleiben?

Es wurde schon beobachtet, dass eine zu starke Abschreckung – Warnungen wie «Rauchen tötet» und krasse Bilder auf Zigarettenpackungen etwa – zu einem Gewöhnungsprozess geführt haben. Dagegen steht mit dem Begriff des Empowerment seit Längerem ein Konzept im Raum, das unterstützenswert ist. Helikoptereltern oder Überwachungssysteme für Kinder schränken den Raum der Kinder und Jugendlichen zu sehr ein. Man setzt zu sehr auf Kontrolle und Überbehütung, und nimmt Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, den Umgang mit Substanzen aus eigener Erfahrung zu erlernen und ein Risikomanagement auszubilden. Dies ist einem nicht von Geburt an gegeben.

Ein übermässiger Schutz nimmt einem die Erfahrungen und macht inkompetent, das ist kontraproduktiv. Man versucht mit bestem Willen, jemanden vor etwas zu bewahren, doch diese Person läuft geradewegs in die Situation hinein, vor der man sie beschützen wollte, das ist Self-fulfilling prophecy. Die Eigenkompetenz und das Risikomanagement müssen schon früh gefördert werden, damit mit Risiken richtig umgegangen werden kann.

Was wäre denn ein guter Weg für Eltern, ihre Kinder in ihrer Eigenkompetenz zu stärken und ein gutes Risikomanagement zu entwickeln?

Ich habe selbst Kinder und sehe jeden Tag, wie schwierig es ist, Balance zu halten. Seine Kinder zu beschützen ist ein essenzielles Bedürfnis aller Eltern. Doch müssen sie auch altersgerecht lernen, mit gewissen Risiken umzugehen. Heute sind die Kinder ständig um Erwachsene herum. In meiner Kindheit waren wir früher einfach draussen unterwegs, alleine. Dort eignet man sich andere Kompetenzen an, als wenn man permanent gesagt kriegt, pass auf, tue dies nicht, du wirst vom Baum fallen.

Selbst zu erfahren, was ich kann, wo meine Grenzen liegen, was riskant ist, ohne dies permanent von jemand gesagt zu kriegen, ist für Kinder sehr wichtig. So entwickeln sie eine Risikokompetenz, um nicht als junge Erwachsene im Kontakt mit Drogen als inkompetente Akteure dazustehen und Schutz zu benötigen, den man als Eltern irgendwann einmal nicht mehr bieten kann.

Das Selbstbewusstsein und die Wahrnehmung der eigenen Fähigkeiten stärken. – Wenn Kinder diese Kompetenzen vermittelt kriegen, ist das auch ein Präventionsfaktor für Drogenkonsum.

Im Strafvollzug gilt offiziell das Äquivalenzprinzip: Das heisst, Menschen im Strafvollzug haben das Anrecht auf eine gleichwertige medizinische Behandlung wie ausserhalb der Gefängnismauern. Gleichwohl gibt es nur wenige Institutionen, die zum Beispiel eine Spritzenabgabe oder eine Heroinabgabe für Süchtige anbieten, etwa wegen Sicherheitsbedenken. Wie beurteilen Sie diese Situation?

Ich würde das als sehr kritisch beurteilen, da auch die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) in ihren ethischen Leitlinien das Gleichheitsprinzip explizit auf den Strafvollzug ausweitet. Die Gleichbehandlung von Menschen ist gesetzlich verankert und die Gleichheit vor dem Gesetz leitet sich auch von der Menschenwürde ab.

Ich halte es für problematisch, wenn Häftlinge keinen Zugang zu medizinisch notwendigen Therapien haben, wenn sie bereits als Süchtige dorthin kommen oder gar in Haft süchtig werden. Kann man Suchtkranke nicht behandeln, und es herrscht eine Unterversorgung vor, respektive wenn eine Therapie verweigert wird, obwohl ein medizinischer Bedarf besteht, dann würde man sich auch den Vorwurf der Diskriminierung einhandeln. Auch in Alters- und Pflegeheimen gibt es diese Problematik.

Nicht immer wird auf Suchtmittelkonsumfragen adäquat eingegangen. Die föderale Struktur der Schweiz und die unterschiedlichen Zugangsbedingungen und die -versorgung (Stadt–Land) können zu einer Unterversorgung führen. Auch die Fehlversorgung in Alters- und Pflegeheimen kann ein Problem sein, d.h., wenn unsachgemäss Psychopharmaka verschrieben werden, die zu einer Suchtentwicklung beitragen, oder wenn Stürze dem Alter und nicht der Alkoholsucht zugeordnet werden.

Worin unterscheidet sich die Sucht im Alter gegenüber einer Sucht in jüngeren Jahren? Wo liegen die gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen und Pflichten, gerade im Hinblick auf die demografische Entwicklung?

Bei der Sucht im Alter geht man von einem Referenzalter zwischen 60 und 65 Jahren aus. Hier herrscht die Besonderheit, dass sekundäre Krankheiten oft schon vorliegen. Psychosoziale Probleme kommen hinzu. Menschen, die sich einsam fühlen, weil das soziale Netz weniger umfangreich ist. Ein weiterer Punkt ist ein gewisser Nihilismus der Gesellschaft gegenüber älteren Menschen. Es geht in Richtung Altersdiskriminierung, wenn gesagt wird, diese medizinischen oder therapeutischen Massnahmen brächten doch nichts mehr. Diese Verharmlosungstendenz gibt es gegenüber jüngeren Menschen nicht. Es liegt hier die Frage in der Luft, wie wir es mit dem würdigen Altern halten. Im Hinblick auf die demografische Entwicklung ist dies eine wichtige Frage.

Im Alter herrscht ein relativ eingeschränktes Drogenspektrum vor, meistens sind es Nikotin und Alkohol, wobei Nikotin weniger problematisiert wird. Ein wenig zum Tragen kommt Cannabis zur Schmerzreduktion und zur eigenen Medikation bei anderen sekundären Erkrankungen. Neuere Drogen sind nicht sehr relevant, was sich mit dem Älterwerden der jüngeren Generationen ändern könnte, die ein breiteres Spektrum an Drogen zur Verfügung hatten.

Das Suchtverhalten von älteren Menschen ist mit mehr Schamgefühlen verbunden als bei jungen Menschen. Es wird eher verheimlicht oder verneint. Das liegt auch daran, dass die gesellschaftliche Annahme vorherrschend ist, im Alter komme die Weisheit und den Jungen sei das über die Stränge schlagen vorbehalten. Auch die Sozialisation der heute älteren Menschen ist eine ganz andere – Scham ist verstärkt vorhanden.

Unsere Gesprächspartnerin

Dr. Julia Wolf ist Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Suchtfragen (EKSF). Sie ist mit dem Institut für Bio- und Medizinethik der Universität Basel assoziiert und für verschiedene Hochschulen und Fachhochschulen als Lehrbeauftragte tätig. Julia Wolf hat in Tübingen Biologie studiert und dort mit der Arbeit «Auf dem Weg zu einer Ethik der Sucht – Neurowissenschaftliche Theorien zur Sucht und deren ethische Implikationen am Beispiel der Alkohol- und Heroinsucht» promoviert. Sie lebt mit ihrer Familie in Riehen, Basel.

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